we were at the moon...
Artikel v. Frank Gingeleit im Moonhead März/05




Space Debris

Feingewogener Sternenstaub - oder: der Krautrock findet endlich zu sich selbst

Keinen „Weltraummüll“, wie die Übersetzung des Bandnamens nahe legen mag, sondern feingewogenen Sternenstaub bietet Space Debris, ein Bandprojekt aus
dem tiefsten Odenwald, wo nachts, wenn keiner hinsieht, ferne Planeten die Baumkronen berühren und ihren außerirdischen Zauber zurücklassen. Diejenigen, die Hörerfahrungen mit den Sounds und improvisierenden Songstrukturen der Siebziger haben, brauchen sich einfach nur zurückzulehnen und können Space Debris’ Doppel-Vinyl „Krautrock-Sessions 1994 – 2001“ genießen, ohne dass ein weiteres Wort verloren werden müsste. Dies ist – so legt es die durchaus unterschiedliche Aufnahme von Space Debris hier wie dort nahe – eher im anglo-amerikanischen Bereich der Fall. Hierzulande tut man sich deutlich schwerer damit, was die überwiegend schubladisierenden Rezensionen nahe legen, leider auch die in Moonhead Nr. 6, in der der Verfasser, nachdem er sich über die „primitiven technischen Möglichkeiten“ der Aufnahmen ausgelassen hat, feststellt, dass sich die meisten Stücke „trotz des Titels der LP meiner Meinung nach mehr im Psychedelic Rock denn im Krautrock bewegen“, (...)





Dabei ist die Sache ganz einfach: Space Debris ist nichts weniger gelungen als die Essenz des Krautrock. Den Mund zu voll genommen? Wir werden sehen.

In dem er es verfehlte, hatte der ursprüngliche Krautrock der Sechziger und Siebziger sein Ziel erreicht. Es war die fast dialektische Spannung zwischen dem, was die Krautrockbands jener Zeit spielen wollten, und dem was sie spielen konnten, was diese Art von Musik „kosmisch“ und teilweise bis heute revolutionär machte. Space Debris ist gleichsam das fehlende Bindeglied zwischen dem „genuinen“ Krautrock der Sechziger und Siebziger und der internationalen Musik dieser Zeit, von der die meisten der damaligen deutschen Rockbands ein Teil werden wollten. Man muss sich erinnern, dass die Mitglieder dieser Bands ganz überwiegend aus der ersten Generation kamen, die nach dem Ende des 2. Weltkriegs geboren wurde, der wie die gesamte Zeit des „Dritten Reiches“ - neben allen anderen kriminellen und obszönen Tatsachen – auch durch Hitlers Embargo ausländischer Kultur gekennzeichnet war. Wie in der Literatur und der Malerei mussten die deutschen Nachkriegsmusiker den Anschluss an ihre internationalen Kollegen finden, ein Prozess, der für viele Jahre kennzeichnend für jede Form spezifisch „deutscher“ Kultur wurde. In der Rockmusik war es die Band Lake, die von etwa 1980 an bewies, dass deutsche Popmusiker fraglos mit internationalen Standards mithalten konnten, und dies war auch das definitive Ende des Krautrock in seiner ursprünglichen Bedeutung.

Seit kurzem versuchen eine Reihe deutscher Bands erneut den „Kraut“-Nimbus anzunehmen, und ihre Ergebnisse sind, in einigen Fällen sogar charmante, Beispiele musikalischer Unfähigkeit, darin in vielem dem ursprünglichen Krautrock nicht unähnlich. In dieser Situation tauchten Space Debris mit ihrer selbstproduzierten Doppel-LP auf, extraschweres Vinyl mit Zwei-, Drei- und Vierspuraufnahmen in überragender Soundqualität, die aus Elementen und Versatzstücken von Pink Floyd, Deep Purple, Santana, den Allman Brothers und vielen mehr zusammengesetzt scheinen (tatsächlich handelt es sich um Jam-Sessions im Proberaum), und gleichzeitig völlig verschieden und individuell klingen. Sie hören sich wie keine der deutschen Bands der Siebziger an und präsentieren dennoch zweifelsfrei Krautrock – ein ebenso sensationelles wie rätselhaftes Wunder, denn keiner dieser Weltklassemusiker war je zuvor nennenswert in Erscheinung getreten. Space Debris bestehen aus einem „harten Kern“ aus Christian Jäger am Schlagzeug, Tommy Gorny an der Gitarre, Thomas Schütz am Bass und Tom Kunkel an der Orgel, der immer wieder um Gastmusiker erweitert wird. Zusammen zelebrieren sie wahre musikalische Erzählorgien im Vokabular der Sechziger und Siebziger, das sie perfekt beherrschen und ebenso locker wie konzentriert einsetzen. Dabei gelingt ihnen gleichzeitig das Kunststück nicht „retro“ zu klingen oder die Vergangenheit verklärend zu beschwören wie es viele tun, die auf der aktuellen Retro-Mainstream-Welle schwimmen. Es ist Musik von heutigen jungen Musikern, die bei neugierigen jungen Ersthörern grenzenlose Bewunderung auslösen kann, aber auch den älteren Zeitgenossen des ursprünglichen Siebziger-Rocks das alte und von vielen lange vermisste „Kribbeln“ zurückbringt. Und der Clou zum Schluss: Wenn man sich dann ganz sicher zu sein glaubt, welcher der alten Platten der Space-Debris-Sound am nächsten kommt und sie auflegt... klingen Space Debris anders - und besser. Und wie war das jetzt mit „primitiver Aufnahmetechnik“, (...)? Kann man sich so verhören? Ja, man kann! Wenn man die simple Gleichung aufstellt, dass wenige Aufnahmespuren automatisch zu schlechten Soundergebnissen führen. Nun, „Sgt. Pepper’s“ der Beatles wurde auf vier Spuren aufgenommen, die „Pet Sounds“ der Beach Boys auf drei, „Kind Of Blue“ von Miles Davis zum Teil auf zwei, zum Teil auf drei, das weltberühmte Can-Studio war ursprünglich ein Zweispur-Studio... Es geht also nicht um die Anzahl der Spuren, sondern darum wie man Musik aufnimmt und das aufgenommene Material bearbeitet. Diese Kunst beherrschen Space Debris gleichfalls perfekt, und sie wird zum mitentscheidenden Bestandteil der Kunst auf „Krautrock-Sessions“. So klingt Musik, wenn sie mit natürlichen Instrumenten, analogen Effektgeräten und über Röhrenverstärker aufgenommen wird: die Orgel rollt und „atmet“, die Gitarre singt in sahneweicher Röhrenverzerrung, und das Schlagzeug entfaltet sich als äußerst nuancenreiches Instrument, das im Gesamtsound „mitspielt“ und nicht einfach ein rhythmisches Gerüst liefert. Der Sound wird so zum kongenialen Partner facettenreicher musikalischer Inhalte.

„Krautrock-Sessions 1994 – 2001“ ist eines jener selten gewordenen Alben, bei dem man auch beim zehnten Hören Neues und Überraschendes wahrnimmt. Jenen, die sich fragen, ob ein klassifizierter, kategorisierter und in sich abgeschlossener Kanon von LPs aus den Sechzigern und Siebzigern alles gewesen sein soll, was vom Griff nach den musikalischen Sternen aus der Wüste eines vom Faschismus befreiten, aber dennoch von Täter-Vätern beherrschten Landes übrig bleibt, wird beim Hören dieser „Krautrock-Sessions“ schnell klar, dass der Krautrock nach 35 Jahren endlich zu sich selbst gefunden hat. Hier wurde er gleichsam dadurch befreit, dass er in freien Assoziationen aus Sounds und Songstrukturen „durchgearbeitet“ (um Freuds Begriffe zu verwenden) und damit neu erfunden wurde. Manchmal muss man tatsächlich sehr weit zurückgehen, um zu einem Neuanfang zu kommen. Von hier aus kann es weitergehen mit Rockmusik aus Deutschland, die auch international wahrgenommen und geschätzt wird.

Frank Gingeleit









home
news
reviews
fotos
musiker
cd-vinyl-mp3
interview
video-clips
links
guestbook


kontakt


info@spacedebrisprojekt.de


disclaimer